Ein Umschlagplatz für Clara, Aenne oder Gertrude
Ellinor Amini hat in Leipzig sechs Ablagekästen für Briefsendungen mit Porträts starker Frauen gestaltet, die Deutsche Post unterstützte die Kunstaktion "postwendend".

Zusteller in Leipzigs Südvorstadt stehen seit ein paar Tagen unter weiblicher Beobachtung. Kein Grund zur Skepsis, die Blicke sind Kunst im öffentlichen Raum. An sechs Ablagekästen für Briefsendungen der Deutschen Post hat Ellinor Amini, Designstudentin der Hochschule Reutlingen, Frauenporträts angebracht. Entnimmt ein Zusteller Sendungen aus einem, um sie in den Transporttaschen seines Dienstfahrrades zu verstauen, hat er ab sofort einen buchstäblichen Umschlagplatz der besonderen Art vor sich. So etwa in der Schenkendorfstraße, auf Höhe einer Grünanlage leuchtet der Ablagekasten rot, darauf ist die Verlegerin Aenne Burda mit angedeutetem Dutt und langen Ohrringen abgebildet. "Köpfe selbstbewusster Frauen stehen einem Unternehmen, das Vielfalt und Chancengleichheit in seiner Firmenphilosophie festschreibt, gut zu Gesicht", schildert Ellinor Amini. Deshalb hatte sie ihren Gestaltungsvorschlag bei der Deutsche Post eingebracht.
Die Studentin aus Emmendingen, eine Stadt im Südwesten Baden-Württembergs, war im Internet auf das Konzern-Statement gestoßen, die Vielfalt seiner Beschäftigten betreffend: "Vielfalt umfasst alle Unterschiede, die uns zu einzigartigen Individuen machen" und "unsere Organisation vereint Menschen mit den verschiedensten Fähigkeiten, Erfahrungen und Sichtweisen", heißt es darin. Ellinor fand: "Das passte. Ich fühlte mich richtig."
War sie auch. Ihre Idee wurde von der Bonner Unternehmenszentrale prompt nach Berlin und weiter nach Sachsen gereicht: "Zwei Stunden nach meiner Anfrage per E-Mail kam bereits eine Antwort." Mit Rückendeckung für die Kunst. "Die Ablagekästen der Deutschen Post sind Bestandteil der Streetart", sagt die Studentin aus Baden-Württemberg, die Leipzig von Besuchen her kennt. Werbung, Sticker, Kritzeleien, Graffiti: Kaum einer der rechteckigen Schränke hat seine graue Originalfarbe uneingeschränkt behalten. Die Südvorstadt, ein buntes, dynamisches Viertel, studentisch und links geprägt, was man den Straßenzügen um die Karl-Liebknecht-Straße ansieht, erschien Ellinor als "der perfekter Standort". Oder: Schauplatz ihrer Kunst. Das Projekt "Hidden Sheroes" (verborgene Heldinnen) ist die Masterarbeit der jungen Frau. Der Titel ist ein Wortmix des englischen Pronomens "sie" (she) mit dem Ausdruck "Heroes" (Helden). Er bezieht sich weniger auf die Präsenz der Abgebildeten im öffentlichen Raum als auf ihre geringe Würdigung in Geschichtsbüchern: "Diese Frauen haben in der Geschichte Großes geleistet und einen wichtigen Beitrag geliefert, zu der Welt, wie wir sie heute kennen. Leider wurden sie in der Geschichtsschreibung oft "unsichtbar" gemacht, weil sie Frauen waren."
Die Ablagekästen auf Augenhöhe der Zusteller, Anwohner und Passanten, beenden das Dasein im Verborgenen. Während der sechsmonatigen Umsetzungsphase arbeiteten die Studentin und die Post Hand in Hand. Die Gestaltung lag bei Ellinor Amini, die Deutsche Post regelte den zügigen, legalen Schaffensprozess. An dem Tag, da die Kästen ihr neues Gesicht bekamen, blieben sie leer. Die Zusteller mussten die Sendungen anderweitig aufnehmen. Als "hilfsbereit und lösungsorientiert", erlebte die 26-Jährige alle Beteiligten. Vier Stunden lang war Ellinor mit jedem Standort befasst: Ablagekasten reinigen, grundieren, gestalten. Dazwischen: Warten, bis die Farbe trocken ist. Den Untergrundfarbton wählte sie "passend zur Umgebung. Grüne Hecke, leuchtendes Rot, das ergibt einen Komplementärkontrast." Die Umrisse der Frauenköpfe sind schwarz.
Die minimalistisch gezeichneten Gesichter haben große Ausstrahlung. Eins davon gehört dem Multitalent Clara Schumann, die vor 200 Jahren in Leipzig geboren wurde. Sie ist die einzige der sechs verborgenen Heldinnen, deren Antlitz eine Briefmarke zierte. Während Ellinor Amini an den "Hidden Sheroes" arbeitete, kam sie mit Anwohnern ins Gespräch und merkte, dass die Biografien der Frauen den wenigsten Leipzigern geläufig waren. An jedem Ablagekasten findet sich deshalb zusätzlich zum Namen der "Heldin" und einem Stichwort, das ihre Vita zusammenfasst, die URL der Projektwebseite mit den Lebensläufen. Auf einer Strecke von zweieinhalb Kilometern durch Leipzigs Südvorstadt begegnet man der Dichterin Mascha Kaléko, der Seerechtsexpertin und jüngsten Tochter Thomas Manns, Elisabeth Mann Borgese, die im vorigen Jahr auf einer Sondermarke mit Meermotiv zumindest zitiert war, der Verlegerin Aenne Burda, Hilla von Rebay, Gründerin der Guggenheim-Foundation New York, sowie der Archäologin Gertrude Bell. Warum entschied sich Ellinor Amini gerade für diese sechs Frauen? Die Antwort kommt schnell: "Sie waren tolle Persönlichkeiten mit viel Tatkraft und Durchsetzungsvermögen. Und alle waren große Briefeschreiberinnen." Nun sind sie Briefebewahrerinnen, zumindest bis der Zusteller kommt.
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