"Gezielte Frauenförderung ist keine Zukunftsmusik"
In einer europaweit einzigartigen Initiative haben die Unternehmen des DAX30 eine freiwillige Selbstverpflichtung erarbeitet, die realistische, unternehmensspezifische und messbare Ziele zur Steigerung des Frauenanteils in Führungspositionen setzt. Im Gespräch mit Deutsche Post DHL News geht Personalvorstand Walter Scheurle näher auf die Initiative ein und erläutert, wie Deutsche Post DHL den Anteil von Frauen in Führungspositionen nachhaltig steigern will.
Herr Scheurle, die DAX30-Unternehmen haben sich auf eine gemeinsame Linie beim Thema Frauenanteil in Führungspositionen geeinigt. Wie lange wird es dauern, bis wir bei Deutsche Post DHL die erste Frau in einer Führungsposition sehen?
Walter Scheurle: Das ist längst passiert. Tatsächlich sind bei Deutsche Post DHL schon heute weltweit rund 17 Prozent der Führungspositionen von Frauen besetzt, in einzelnen Bereichen und Regionen sogar deutlich mehr. Im engeren Führungskreis unseres Vorstandsvorsitzenden Frank Appel sind es heute sogar schon rund 30 Prozent - bei mir sogar noch höher. Klar ist aber auch: Insgesamt ist uns das noch nicht genug. Wir wollen den Anteil von Frauen in Führungspositionen mittelfristig weiter und nachhaltig erhöhen. Deshalb haben wir uns in den vergangenen Jahren intensiv bemüht, in unserem Konzern die entsprechenden Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Aber es liegt in der Natur der Sache, dass Änderungen an einem derartigen Personalprozess, der auch Einstellungen und unterschiedliche Kulturen betrifft, nicht von heute auf morgen greifen können. Vielmehr leiten wir jetzt Entwicklungen ein - oder haben dies bereits getan - die erst in fünf bis zehn Jahren ihre volle Wirkung entfalten.
Das mag manchen zu langsam gehen. Brauchen wir nicht doch den Druck einer gesetzlichen Regelung, damit sich in den Unternehmen etwas ändert?
Walter Scheurle: Aus unserer Sicht bedarf es keine gesetzliche Vorgabe, um mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Wir gehen den nachhaltigeren und unter dem Strich effektiveren Weg. Wir werden das Thema "Frauen in Führungspositionen" aus verschiedenen Perspektiven angehen. Die Leitformel besteht dabei aus dem Dreiklang "Können-Wollen-Dürfen". Das Können steht schon lange außer Frage. Heute geht es um das Wollen und Dürfen, um einen kulturellen Wandel sowie Einstellungs- und Verhaltensänderungen. Übrigens: Auch viele Frauen lehnen eine Quote ab, weil sie sich damit in ihrer Qualifikation für eine Führungsposition nicht mehr ernst genommen fühlen. Und gerade junge Männer tun sich mit einer Quote schwer; insbesondere, weil sie Frauen dann nicht mehr als gleichberechtigte Partnerinnen im Beruf erleben können.
Daher: Leistung wird immer das wichtigste Auswahlkriterium bleiben - es geht jetzt darum, dass die Leistungen von Frauen auch gesehen und gefördert werden. Und die Zahlen sprechen für sich: Es hat sich in den letzten Jahren auch ohne Quote bereits eine Menge getan und mit unserem aktuellen Status Quo haben wir eine gute Ausgangsposition. Klar ist: Wir brauchen eine gesetzliche Quote einfach nicht. Notwendig ist vielmehr ein gesellschaftliches Umdenken.
Inwiefern?
Walter Scheurle: Wir müssen begreifen, wie stark wir in Deutschland auf zukünftige Talente angewiesen sind: Entscheidend dafür, dass wir auch künftig noch ausreichend Nachwuchs haben, ist eine familienfreundliche Gesellschaft und ein entsprechendes Umfeld, durch das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur ermöglicht, sondern gefördert wird. Für derart umfassende Veränderungen müssen aber alle an einem Strang ziehen. Insofern ist die öffentliche Diskussion zu begrüßen! Denn auch wenn wir Unternehmen natürlich unseren Beitrag leisten müssen und werden - alleine können wir den notwendigen gesellschaftlichen Wandel nicht vollziehen.
Auch die Politik ist in der Pflicht, indem sie zum Beispiel eine bessere steuerliche Absetzbarkeit von Betreuungskosten gewährleistet und den Ausbau von Ganztagsschulen schneller vorantreibt. Wir können es uns nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Westeuropa nicht mehr länger leisten, auf gut qualifizierte Frauen zu verzichten. Und damit meine ich nicht nur Frauen in Führungspositionen, sondern die Arbeit von Frauen auf allen Ebenen. Von unseren rund 470.000 Beschäftigten weltweit sind heute rund 37 Prozent Frauen. In Deutschland ist es mit 47 Prozent sogar knapp die Hälfte. Damit zählen wir übrigens zu den größten privatwirtschaftlichen Arbeitgebern für Frauen in Deutschland.
Was tut denn die Wirtschaft selbst, um eine bessere Förderung von Frauen zu gewährleisten? Um was genau geht es bei der Selbstverpflichtung der DAX-Unternehmen?
Walter Scheurle: In der gemeinsamen Erklärung "Frauen in Führungsfunktionen" haben die DAX30-Unternehmen bereits im März dieses Jahres zugesagt, ihre Bemühungen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen weiter zu intensivieren. Die freiwillige Selbstverpflichtung - die übrigens europaweit einzigartig ist - hält diese Zusagen konkret fest: Sie führt auf, wie die Frauenförderung in den Unternehmen weiter ausgebaut werden soll - jeweils spezifisch und individuell auf die Umstände und Rahmenbedingungen des einzelnen Unternehmens zugeschnitten. Darüber hinaus haben sich die DAX-Unternehmen auf ein einheitliches Vorgehen und vor allem auf eine jährliche Berichterstattung verpflichtet.
Letztere kann im Rahmen des Nachhaltigkeits- oder Geschäftsberichts geschehen. Damit haben die DAX-Unternehmen eigentlich nur kodifiziert, was wir alle schon seit langem wissen und was unsere eigenen Bemühungen im Rahmen unseres Personalmanagements schon seit Jahren entscheidend prägt: Nachhaltigen Unternehmenserfolg schaffen wir nur dann, wenn wir unsere Führungsteams mit Männern und Frauen besetzen.
Ist denn die Selbstverpflichtung mehr als nur ein Papier? Worauf legt sich Deutsche Post DHL konkret fest?
Walter Scheurle: Wir verpflichten uns, ab sofort 25 bis 30 Prozent aller zu besetzenden Führungspositionen im oberen, mittleren und unteren Management in Deutschland und weltweit mit Frauen zu besetzen. Ziel dieser sogenannten "Selbstverpflichtung für vakante Führungspositionen" ist es, den Anteil von Frauen in Führungspositionen weiter zu erhöhen. Hier haben wir - wie andere deutsche Konzerne auch - noch Handlungsbedarf. Ich hatte schon gesagt: 17 Prozent der Managementpositionen sind bei uns aktuell von Frauen besetzt. Das ist ein Anfang, zeigt aber auch, dass wir unser ganzes Potential noch nicht ausgeschöpft haben. Ich halte es gleichwohl für wenig sinnvoll, konkret festzulegen, bis wann wie viele Frauen Führungspositionen besetzen müssen.
Vielmehr haben wir, ausgehend vom aktuellen Personalbestand und dessen wahrscheinlicher Entwicklung in den kommenden Jahren, errechnet, was realistisch möglich und machbar ist - und zwar nachhaltig machbar. Ich bin sehr zuversichtlich, dass der von uns gewählte Weg eine Steigerung des Anteils von Frauen in Führungspositionen zur Folge haben wird, die sich im Vergleich zu anderen Unternehmen in Deutschland sehen lassen kann. Das muss auch so sein, wenn wir unser strategisches Ziel erreichen wollen, in unserer Branche als Arbeitgeber - für Frauen wie Männer - erste Wahl zu sein.
Wie müssen wir uns die von Ihnen beschriebene Selbstverpflichtung konkret vorstellen? Schaffen Sie neue Stellen für Frauen oder wo kommen die Positionen her?
Walter Scheurle: Damit Frauen auf Führungspositionen nachrücken können, müssen diese Positionen selbstverständlich erst frei werden. Hier nutzen wir die übliche Fluktuationsrate bei den Führungskräften im Konzern: Weltweit besetzen wir jährlich rund 17 Prozent der Führungspositionen neu, in Deutschland sind es etwa 11 Prozent. Ab sofort werden wir 25 bis 30 Prozent dieser zu besetzenden Managementpositionen systematisch mit qualifizierten Bewerberinnen besetzen.
Wie identifizieren Sie die Frauen, die im Rahmen dieses Vorhabens in Führungspositionen kommen sollen?
Walter Scheurle: Wir haben schon recht früh erkannt haben, wie wichtig das Thema für den nachhaltigen Erfolg des Unternehmens ist. Deshalb haben wir uns in den vergangenen Jahren - also weit bevor die aktuelle öffentliche Diskussion entstanden ist - intensiv bemüht, die entsprechenden Voraussetzungen und Prozesse zu schaffen, um die Potenzialträgerinnen zu erkennen und entsprechend zu fördern. Unser bereits vor einiger Zeit ins Leben gerufene Projekt "Frauen in Führungspositionen" ist eine weitere Initiative, um die Ursachen für den immer noch zu geringen Frauenanteil im Konzern zu analysieren. Die daraus resultierenden Erkenntnisse und Ergebnisse dienen zur Entwicklung von weiteren Maßnahmen zur Förderung von Frauen im Konzern.
Wie müssen wir uns das vorstellen?
Walter Scheurle: In einer ersten Phase, die Ende dieses Monats abgeschlossen sein wird, ging es um eine gründliche Ursachenerforschung. Dafür sind wir tief in die Personalentwicklung eingestiegen, um ein umfassendes Verständnis für die wichtigsten Barrieren zu bekommen, die Frauen heute in unserem Unternehmen von einer erfolgreichen Karriere als Führungskraft abhalten. Daneben gibt es eine globale, repräsentative Umfrage unter rund 12.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Erkenntnisse noch einmal validiert. Am Ende wird ein Bündel von Maßnahmen stehen, mit denen wir Frauen passgenau fördern können.
Und es wird konkrete Kennzahlen geben, mit denen wir den Erfolg der Maßnahmen nachhalten. Klar ist: Das Thema muss von der Spitze der Firma getrieben werden. Wir werden daher die Führungskräfte noch stärker in die Pflicht nehmen. Wir erwarten von ihnen, dass sie aktiv einen Kulturwandel in ihrem Bereich vorantreiben, dass entsprechende Prozesse bei Neueinstellungen geschaffen werden, und dass Führungskräfte sich verstärkt als Mentoren für Frauen engagieren.
Das klingt nach Zukunftsmusik...
Walter Scheurle: Ganz im Gegenteil: Für uns ist das vielmehr ein weiteres Instrument in einem ganzen Orchester von Instrumenten, die wir bereits seit vielen Jahren einsetzen. Nehmen Sie zum Beispiel unsere Nachwuchsförderungs- und Ausbildungsprogramme: Der Frauenanteil in unserem konzernweiten Traineeprogramm GrOW etwa, das Hochschulabsolventen auf Führungspositionen vorbereitet, lag im vergangenen Jahr bei 44 Prozent, in diesem Jahr sind es sogar zwei Drittel. Von den Nachwuchskräften, die bei uns ein Studium an der Dualen Hochschule absolvieren, ist jede zweite weiblich. Und in unserem Top Azubi Programm, das sich an die besten fünf Prozent eines Ausbildungsjahrgangs richtet, liegt der Frauenanteil ebenfalls bei hohen 44 Prozent. Damit sind wir hervorragend aufgestellt, um die weiblichen Führungskräfte von morgen aus unseren eigenen Reihen zu rekrutieren.